Dilemma: Zwischen Veganismus und Leidenschaft

Hallo liebe Forumsmitglieder,

nun ist es passiert.

Gestern war der Tag an dem mein größtes und leidenschaftlichstes Hobby letztendlich gegen die Mauern meiner Überzeugungen und Ethik prallte.

Geplant als das grandiose Finale der diesjährigen Saison hat mein sehr junger, selbstbeschlagener, Langgürtel nach kurzen 12 Jahren auf diesem blauen Planeten zusammen mit meinem Pilgerbeutel das Zeitliche gesegnet.
Die Einzelheiten dieses schrecklichen Unglücks mögen euch (und mir) erspart werden, jedoch trifft mich dieser Schock zugleich in einer günstigen, wie auch ungünstigen Zeit.
Günstig in dem Sinne, dass die Mittelaltermarkt-Hauptsaison für mich zu Ende ist und erst Ende November zum PMLW in Dortmund wieder beginnt. Ungünstig in dem Sinne, dass mein Langgürtel ohne Unglück eine "Lebenserwartung" von ca. 80 Jahren gehabt, und mich damit praktisch überlebt, hätte.

Einen neuen Pilgerbeutel kann ich in meiner Legende als Bauer auch komplett aus Leinen fertigen und mir die Wolle sparen, aber der Gürtel ist ein wahres Dilemma..
Gebraucht werde ich wohl kaum einen 165cm Bauernlanggürtel des 13. Jahrhunderts mit Lilienbeschlag in 2,5cm Breite finden. Meine restliche Gewandung auszutauschen (die zumal ausschließlich aus Selbst- und Einzelanfertigung besteht) kommt absolut nicht in Frage.. Dafür sind (neben der Tierausbeutung) zu viele Erinnerungen, Schweiß, Blut und zuweilen Tränen der (teilweise 16) letzten Jahre in diese Gewandung geflossen..

Kunstlederhandwerker verstehen nichts von der Gürtelfertigung zwischen Hoch- und Spätmittelalter und die mir bekannten Kürschner, welche entsprechende Fertigkeiten besitzen, wollen keine Sythetik verarbeiten, bzw. wissen zumeist nichts über die Verarbeitung von Kunstleder zu einem stabilen Arbeitsgürtel..

Somit bleibt für mich nur der Kauf eines neuen Langgürtels mit Lilienbeschlag und passender Breite beim bekannten Kürschner oder die Aufgabe meines Hobbies.

Ich fühle mich, als würde ich in jedem Fall mit meiner Entscheidung einen Teil meiner Persönlichkeit verlieren.. Altruismus vs. Egoismus.. Es ist zum heulen.. Ich hoffe ich finde eine Lösung mit der ich leben kann.


Standet ihr schonmal vor einer solchen (oder ähnlichen) Entscheidung? Wie habt ihr euch entschieden? Bereut ihr es euch so entschieden zu haben?

Grüße und entschuldigt bitte mein Gejammer,
Falk

Hallo Nefasu,


Das mit deinem Gürtel tut mir sehr leid! Echt doofe Sache Ich weiß, dass an so einem Hobby sehr viel Herzblut, Freunde und Erlebnisse hängen, diese einfach so wegen eines Unfalls aufgeben zu müssen ist ziemlich schrecklich. Gejammer ist also durhaus angebracht
Aber es ist ja erst gestern passiert - hast du wirklich schon alle deine Netzwerke befragt? Alles in Bewegung gesetzt? Vielleicht kennt ja der Freund eines Freundes eines Freundes jemanden, der dir einen Gürtel aus Kunstleder anfertigt. Die Mittelalterszene ist in Teilen auch sehr Alternativ, es gibt doch bestimmt auch Nachfrage nach authentischen Gürteln, jedoch ohne Tierhaut! Vielleicht kein Gewerblicher Kürschner, sondern jemand, der das eher Privat macht? Ich würde vorschlagen, dass du, bevor du jetzt weinend und vereinsamt in deinem Kämmerlein hockst, einfach überall wo es nur irgend möglich ist rumzufragen. Ich werde auch mal meine alten Kanäle wieder kontaktieren, vielleicht findet sich ja etwas. Deine Ansprüche scheinen ja sehr hoch zu sein was das Handwerk und das Design betrifft - was brauchst du denn genau?

Hallo Falk.

Das ist in der Tat ein Dilemma. Vielleicht findest Du ja doch noch was passendes gebrauchtes. Das Hobby liegt Dir sicherlich sehr am Herzen. Vielleicht gibt es ja jemanden, der aus welchen Gründen auch immer das gleiche Hobby aufgeben musste und jetzt den Gürtel zum Beispiel auf EBay anbietet (?)


Also ich könnte mir nicht mehr vorstellen, sowas wissentlich zu kaufen. Aber ich möchte ja auch nichts dergleichen mehr tragen.

Das geliebte Hobby aufzugeben, scheint mir allerdings auch kein leichtes Unterfangen zu sein. Soweit ich mich da in Dich/ Deine Situation hinein fühlen kann...


Spontan würde ich mich gegen eine solche Anschaffung entscheiden.

P.S.: in meinem Fall ist es die HIPP Babynahrung, die meine Jüngste (10Monate) immer noch trinkt und ebenso -etwas ferner meines persönlichen Aktionsbereichsrahmens- die nicht existierende vegane Menüauswahl im Kindergarten und die somit alles andere als vegane Ernährung meiner Kinder dort. Da stoße ich persönlich täglich an meine moralischen und ethischen Grenzen.

Pummelchen's Anregungen sind doch schonmal recht gut

LG

Hallo Pummelchen,

danke für die mitfühlenden Worte!


Leider gibt es im Living History Bereich, logischerweise, keine mir bekannten fachkundigen Handwerker, die "authentisch" aus Synthetik herstellen (da Sythetik ja leider per se nicht authentisch ist)
Selbst ich bin bei meinen historischen Lang- und Flachbogenbau schon sehr an die Grenzen der LH-"Legelität" gestoßen indem ich Kompositbögen nur mir Leinen ohne Knochenleim beschichte und für Langbögen ausschließlich abgestoßenes und beinahe ungeeignetes Fundgeweih verwende, statt dem üblichen Ziegen- oder Rinderhorn.

Dieses Ausnutzen der "legalen" Grenzen führte vor einem guten Jahr bereits zum Bruch mit meiner Lagergruppe und letztendlich zu meinem Austritt.
Einen fachkundigen Kunstlederhandwerker zu finden scheint mir somit beinahe unmöglich.



Die Ansprüche sind leider ausgesprochen hoch..

Der Gürtel müsste folgendermaßen aussehen und gearbeitet sein (oder täuschend echt simulieren):
- 135cm Länge (ohne Schnalle, ohne Riemenzunge) (oben vertippt)
- Beschläge und Riemenzunge aus Messing in Lilienform
- Lilienform müsste im Stil der Jahre 1300 bis 1335 n.Ch. in der Region Mainz gearbeitet sein
- Handgenäht
- Material: Schafs- oder Ziegenleder(-Imitat)

Ich kenne soweit nur 2 Handwerker die über die benötigte Fertigkeit bzw. das benötigte (Regions- und Epochen-)Wissen verfügen. Einer verarbeitet kein Kunstleder (und spricht seit dem Bruch der Gruppe nicht mehr mit mir), die andere weiß nichts über die Verarbeitung von Kunstleder, möchte sich nicht weiter damit befassen und bezweifelt (wohl zurecht, da sie es äußerst objektiv und glaubhaft begründet hat), dass der Gürtel weder authentisch aussehen würde noch das Gewicht meiner Dengeleisen- & hämmer tragen könnte..



Das ist sehr lieb von dir!!!
Ich habe noch immer Hoffnung auf eine tierfreundliche Lösung bis Ende November.

Liebe Grüße,
Falk

Puh, das mit der Lagerlebengruppe hört sich ja auch nicht gerade super an :/ aber ist auch verständlich, dass Veganismus und Living History ziemlich hart aneinanderprallen.
Wobei, wenn du schon solche Leute kennst: Wieso aus der Not nicht eine Tugend machen und selbst anfangen? Du scheinst ja noch einen erfahrenen Kontakt zu haben, der dir zumindest einen Aspekt des Handwerklichen weitergeben kann und dann kannst du selbst probieren, das mit Kunstleder hinzubekommen. Wie das dann aussieht kann ich nicht beurteilen - aber sonst kommt es halt auf Leder oder nicht Leder an - meine Leute sind nicht so streng drauf und das sind sehr spezifische anforderungen, vielleicht finde ich höchstens jemanden, der sich mit Kunstleder auskennt....mal sehen.......

Im Zweifelsfall ist es aber dir überlassen, wie du deine persönlichen Bedürfnisse und deine ethischen Ansprüche an dich selbst gewichtest - ich würde aber sagen, dass im Endeffekt dein Glück und deine Zufriedenheit schwerer wiegen.

Sag mal, könntest du den Gürtel nicht evtl. aus gebrauchten Echtleder herstellen lassen? Vielleicht wäre das ein möglicher Kompromiss? Dann hättest du einen authentischen Gürtel ohne neues totes Tier.
Oder - vielleicht gibt es die Möglichkeit, auf einem Gnadenhof oder sowas die Haut von einem Tier zu bekommen, was eines natürlichen Todes gestorben ist?
Wenn das nicht möglich ist, bin ich ganz ehrlich - ich würde mir einen Ledergürtel machen lassen. Wie du sagst, wird er dich vermutlich überleben. Und (ja, ich weiß, daß ist nicht vegan) Leder ist deutlich umweltfreundlicher als Plastik.
Natürlich ist das für dich ein Zwiespalt, aber für einen kaputten Gürtel dein liebstes Hobby aufgeben? Doch nicht wirklich, oder?
LG Nanny

So schlimm ist/war es bei mir zum Glück noch nicht. Im Gegenteil, da ich eigentlich durch eins meiner wichtigsten Hobbies (Esperanto) überhaupt erst in Kontakt mit der veganen Lebenseinstellung geraten bin.
Wenn überhaupt ansatzweise vergleichbar, dann geht es mir so beim Freilassen von Büchern (im Rahmen von BookCrossing). Früher hab ich die Bücher bedenkenlos in eine Plastiktüte gesteckt (Wetterschutz, Informationsmittel, Befestigungsmöglichkeit) und am liebsten irgendwo hängend (Bäume, Zäune, etc.) zurückgelassen. Als dann aber mein Umweltbewusstsein zunehmend erwachte, fand ich das Verteilen von Plastiktüten in der Natur (viele Leute haben die Tüten nicht mitgenommen), keine gute Idee mehr. Folglich hab ich diese Art von Buchweitergabe (die für mich der spannendste Teil von BookCrossing war) sehr eingeschränkt, was auch insgesamt dazu führte, dass dieses Hobby für mich weniger reizvoll wurde - ganz aufgeben musste ich es deswegen aber nicht.

Dir wünsche ich, dass du auch für dich nochmal einen guten Kompromiss findest.

Vor einigen Jahren ging ich am Wochenende leidenschaftlich gerne zum Bergwandern. Mich störten zwar die vielen Menschen und insbesondere die Mountainbiker (die meisten verhielten sich rücksichtslos gegenüber der Natur und den Wanderern).
Da ich durch Schmerzen am rechten Bein( verursacht durch Dornwarzen) und die Anwendung einer Therapie das Wandern für ein paar Wochen aufgeben mußte, konnte ich mir über mein Hobby Gedanken machen und kam zu dem Schluß, daß es für mich genügt vom Wohnort aus zu wandern oder Radzufahren und damit die nahe Natur und Umgebung besser kennenzulernen . Schont die Umwelt, meinen Geldbeutel und meine Nerven in Bezug auf Autofahrten zu den Bergen.
Diese neuen Hobbies machen mir immer noch viel Spaß.
"Die Krise besteht gerade in der Tatsache, dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann" (Antonio Gramsci)

Liebe Grüße

Irmgarda

Danke für all eure aufmunternden Kommentare

Auch wenn ich teilw. mit einem ähnlichen Gedanken wie in Irmgardas Erfahrung gespielt habe, die Authentizität sausen zu lassen und zukünftige Märkte einfach "beinahe Authentisch" zu besuchen, war ich von dem Gedanken wenig begeistert.

Nach viel Recherche in einer schlaflosen Nacht, Rückfragen an meine verbleibenden Kontakte und einer sehr aufschlussreichen Führung im Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz habe ich endlich eine für mich praktikable und tierproduktfreie Lösung gefunden.

Der einzige Kompromiss bestand für mich in Verschiebung meines Aufenthalt in der südafrikanischen Auswilderungsstation um ein Jahr.

So erweist sich auch hier wieder:
Wer lange sucht wird endlich fündig, auch ohne "Verzicht"

Vielen Dank und hoffentlich gibt es noch ein paar ähnliche Geschichten mit "Happy End",
Falk

Da ich selber nach authentischer Kleidung für Mittelalter-Märkte suche und gerne eine Garderobe die vegan ist hätte würde mich deine Lösung sehr interessieren.