vegan57 PostsweiblichLevel 2
21.08.2019Da ich schon oft über solche und ähnliche Diskussionen gestolpert bin, die mit einem Holocaustvergleich begonnen haben, möchte ich da gern mal meinen Senf dazu geben:
Das Leid jedes Individuums ist einzigartig, und in dem Sinne vielleicht mit nichts Anderem gleichzusetzen. Systeme und psychologische Mechanismen hingegen lassen sich vergleichen: Der Holocaust basiert auf einer "Hassideologie", Nutztierhaltung auf einer "haben-wir-schon-immer-gemacht-Ideologie". Das ist ja gerade ein Vergleich zweier Gewaltsysteme! Nutztierhaltung wie der Holocaust mussten beziehungsweise müssen sich darauf verlassen können, dass ein großer Teil der Bevölkerung nicht hinschaut. Eine Parallele. Gleichzeitig waren im dritten Reich natürlich die Risiken für diejenigen, welche das Gewaltsystem anprangerten, viel grösser als für uns heute, wenn wir uns gegen die Nutztierhaltung aussprechen. Ein Unterschied. In beiden Ideologien wird aufgrund arbiträrer Unterscheidungen manchen Individuen das Lebensrecht abgesprochen. Eine Parallele. Und alles Vergleiche.
Ich mag den Holocaustvergleich selbst auch aus verschiedenen Gründen nicht. Er wird oft inflationär, unbedacht und ohne Respekt für die tatsächlichen Opfer vorgebracht. Und er ist fast schon eine Garantie dafür, dass eine Diskussion jeden Augenblick die sachliche Ebene endgültig verlassen wird. Dennoch muss das Nachdenken über die Parallelen und Unterschiede in meinen Augen erlaubt sein. Wir müssen verstehen, wie solche Systeme funktionieren, wie die psychologischen Mechanismen funktionieren und wie gerade dasjenige System, das wir bekämpfen, aussieht. Dafür ist der Blick auf historische Verbrechen meiner Meinung nach hilfreich, auch wenn sich diese in vielerlei Hinsicht stark unterscheiden.
Außerdem finde ich es schwierig, wenn man den Holocaust auf einen Sockel der Unberührbarkeit stellt: ja, das war ein unglaublich, unbeschreiblich grauenhaftes Verbrechen. Aber es wurde von Menschen ermöglicht wie ihr und ich, nicht von irgendwelchen Aliens mit komplett anders funktionierender Psychologie (von den Akteuren mit psychopathischen Zügen mal abgesehen). Mir scheint, wenn wir sagen, dieses unsagbare Grauen des Holocaust dürfe mit nichts verglichen werden, sei in seiner Art einzigartig und unvergleichlich, dann verkennen wir dieser allzu menschliche Kern in diesem Verbrechen. Und wir verpassen die Chance, mehr darüber zu lernen, wie dieser Kern eben genährt wird und was wir ihm entgegen halten können.
Ich hoffe, es fühlt sich hierdurch niemand angegriffen, es richtet sich gegen niemanden persönlich.
Liebe Grüsse
Mond
vegan7.002 PostsmännlichBerlinLevel 4Team
21.08.2019Ja natürlich, Mond. Es ist wichtig, den Unterschied zu sehen... Man kann Leid nicht miteinander vergleichen. Dein Leid ist mit meinem Leid nicht vergleichbar.
Strukturen und Parallelen kann und sollte man natürlich analysieren und daraus lernen. Das braucht dann aber nicht den Schockeffekt des "Holocaust-Vergleiches", sondern eine nüchterne Auseinandersetzung.
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