Veganismus und Distinktion15.06.2018Vorab: Dieser Beitrag könnte, fälschlicherweise, als Veganismuskritik verstanden werden. Das liegt mir jedoch fern, der Betrag ist rein deskriptiv gedacht. Er bezieht sich ausdrücklich nicht auf einzelne Personen und ist kein Argument gegen den Veganismus.
Veganismus kann als symbolisches Handeln, welches über die bloße Beschreibung eines Konsumverhaltens hinausgeht, aufgefasst werden. Es ist kein Konsumverhalten, welches nur zur reinen Bedürfnisbefriedigung verstanden werden kann. Wie diese Symbolik dazu dienen kann soziale Gruppenzugehörigkeit und Abgrenzung, also Distinktion, zu konstruieren, möchte ich her erläutern.
Grundlage dieser Überlegung ist das Kapitalmodell von Pierre Bourdieu (1930-2002). Er unterscheidet dabei in drei verschiedene Formen des Kapitals. Das ökonomische, kulturelle und soziale Kapital. Veganismus kann als Symbol genutzt werden, um hohes kulturelles Kapital zu demonstrieren. Das kulturelle Kapital ist u.a. die Summe aller Bildungsgüter, die sowohl psychischer (z.B. Bildung) als auch physischer (z.B. akademische Titel) Natur sein können. Da die vegane Lebensweise keine Frage des Geldbeutels ist, kann Veganismus auch von Personengruppen distinktiv genutzt werden, die zwar über hohes kulturelles Kapital, aber niedriges ökonomisches Kapital verfügen. Also zum Beispiel Studenten. Diese können sich nicht durch „klassische“ Statussymbole wie teurer PKW, teures Haus oder Luxusurlaube von unteren Schichten abgrenzen und müssen daher auf Alternativen ausweichen. Veganismus kann eine dieser Alternativen sein.
Ungleich Bourdieu, sollte man distinktive Handlungen nicht nur als symbolisches Handeln hierarchischer Klassen verstehen. Der Begriff des „Milieus“ trifft den Zusammenhang hier wesentlich besser. Auch unter Personen, die über ähnliches Kapitalvolumen verfügen, kann der Veganismus als Distinktion genutzt werden. Ich vermute, dass es unter Philosophiestudenten wesentlich mehr Veganer gibt, als in naturwissenschaftlichen Disziplinen wie der Chemie gibt. Dabei gehe ich trotzdem davon aus, dass das Kapitalvolumen der Chemiker dem der Philosophen ähnelt und es keine vertikale Differenz gibt - nur eine horizontale. Warum gerade der Veganismus hier als Distinktionsmerkmal genutzt wird, könnte man mit Bourdieus Begriff des „Habitus“ erläutern. Der Habitus ist das Resultat der Sozialisation. So entwickeln Menschen ihren Habitus in Interaktion mit ihrem Umfeld weiter. Ein Mensch wird nach seiner Ausbildung zum Heilpraktiker ein anderer Mensch mit anderen Habitus sein, als hätte er Medizin studiert. Die Ansichten des Menschen würden sich nicht nur im Fachlichen unterscheiden, sondern auch u.a. in politischen Zusammenhängen.
Veganismus wirkt also auf verschiedene Weise als soziale Distinktion. Veganismus kann dafür genutzt werden sich als „Gebildeter“ vom „Ungebildeten“ oder als „Guter“ vom „schlechten“ Menschen abzugrenzen. Dabei wird die Distinktion jedoch nicht als psychologisches Phänomen, sondern als soziologisches Phänomen aufgefasst. D.h. Distinktion ist nicht zwingend die Intention des Veganers. Es geht dabei nicht um das Handeln von einzelnen Individuen, sondern um das Handeln von sozialen Gruppen.
15.06.2018Du hast völlig recht. Man könnte das ganze aber auch wesentlich elementarisierter ausdrücken:
Vegan zu leben geht als ethische Grundeinstellung über den Einzelakt des Konsumierens hinaus und wirkt durch diese ethische Geisteshaltung gruppenbildend und setzt Zeichen für eine empathischere, biophilere, gewaltärmere Lebenseinstellung.
15.06.2018Entschuldigung, aber das ist jetzt doch etwas elitär gedacht...
Sicher ist der Anteil der VeganerInnen bei den AkademikerInnen etwas höher als beim Durchschnitt der Bevölkerung. Aber ich lebe in der realen Welt und habe einen sehr großen veganen Bekanntenkreis. Und der besteht nicht einmal zur Hälfte aus AkademikerInnen. Auch Menschen, die nicht zum Bildungsbürgertum gehören, ist durchaus die Fähigkeit zu Empathie, Reflexion und ethischem Handeln zuzutrauen. Ich weiß nicht, ob durch solche Menschen kennst. Ich ja! Und glaub mir: auch hier bei vegpool tummeln sich einige davon!
15.06.2018Ich kenne diese Statistiken.
Aber im realen Leben, vorausgesetzt, du würdest dich dort, also beispielsweise in Tierrechtsinitiativen, bewegen, fändest du reichlich sehr empathische, informierte, reflektierte und konsequente VeganerInnen.
17.06.2018Hallo liebe Mietzikatz,
Wenn ich in einem Bereich angefragt werde, in dem ich nunmal Profi bin, dann antworte ich meinen Kompetenzen entsprechend, versuche es aber so elementarisiert zu tun, dass es auch Menschen verstehen, die nicht Theologie studiert haben. Sollte mir das in dem ein oder anderen Fall nicht gelungen sein, tut mir das sehr leid. Das war nicht beabsichtigt. Ihr könnt mich aber gern immer fragen, wenn ihr etwas nicht versteht . Es ist ganz bestimmt nicht meine Absicht, überheblich oder klugscheißerisch rüber zukommen. Bitte entschuldigt alle, wenn das so ankam. Manchmal ist es nicht so ganz einfach, Sachverhalte, mit denen man sich ein Leben lang wissenschaftlich beschäftigt, so darzustellen, dass auch Nichtprofis sie verstehen, vor allem dann, wenn man auf relativ hohem Niveau angefragt wird, was ja hier öfter der Fall war. Ich habe mich immer darum bemüht, aber offenbar ist mir das nicht ganz gelungen.
Nochmals sorry. ..Ich gelobe Besserung