Vegetarismus als Religion und Spiritualität10.06.2018Es gibt viele Protagonisten in den Medien die den Verzicht auf Fleisch als Religion bezeichnen. Manch christlicher Autor nutzt sogar den Begriff der „Ersatz“-Religion und degradiert damit die vermeintliche Religion „Vegetarismus“ sogar noch unterhalb der „echten“ Religionen. Dieser inquisitorische Hass auf den ketzerischen Animismus scheint auch nach 2000 Jahren Christentum stark verfestigt.
Die Gründe für die vegetarische Ernährung reichen von reiner Gewohnheit bis zu uralter Tradition. In bestimmten Regionen gibt es Vegetarier die nur aufgrund des Mangels an Fleisch so leben, während in anderen Regionen wegen totalem Überfluss auf Fleisch verzichtet wird. Vom einfachen Nichtschmeckens bis zum differenziert-ausgeklügeltem Moralsystem - und manchmal sogar „einfach so“. Es ist offensichtlich unmöglich eine Verbindung zwischen Vegetariern zu knüpfen, die über den Fleischverzicht hinausgeht. Damit wird das wichtigste Kriterium einer Religion, die definierbare Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, nicht erfüllt.
Obwohl ein nicht erfülltes, aber notwendiges Merkmal einer Religion bereits ausreichen würde, gibt es noch viele andere Merkmale die den Begriff „Religion“ unanwendbar machen. Der fehlende welterklärende Schöpfungsmythos, die fehlenden Rituale und die nicht vorhandenen sozialen Interaktionen wären weitere Ausschlusskriterien.
Vegetarismus ist also genauso viel Religion wie Autofahren, Cola Trinken oder jede andere beliebige Handlung.
Trotzdem kann Vegetarismus als religiöses Ritual genutzt werden. Buddhisten und Hindus sind zu großen Teilen davon überzeugt, dass Fleischessen schlechtes Karma erzeugt. Auch in der westlichen Welt gibt es Vegetarier die ihren Fleischverzicht zum Teil spirituell begründen. So wird von manchen Vegetariern das Fleischessen an sich als moralisch verwerflich bezeichnet, ohne dazu materielle Begründungen zu nennen. Das Essen von Fleisch gilt als unethisch, selbst wenn es kein Leid verursacht. Zum Beispiel „cultured meat“. Ein Fleisch aus dem maastrichter Uni-Labor ohne Tierleid (zumindest zukünftig). Auch scheint gegen die Verwertung eines natürlich verstorbenen Tieres nicht viel zu sprechen.
Es scheint als hätte die Tötung das Fleisch spirituell verunreinigt. Die Tötung und das Tierleid stehen nicht mehr im Vordergrund, der Akt des Fleischverzehrs allein wird zur Sünde. Auch wenn wohl wenige heute glauben, das Fleischessen einen bösartigen Naturgeist beschwört oder böses Karma verursacht, lehnen es trotzdem viele kategorisch ab. Es entsteht ein Ekel vor dem Fleisch, der nicht physiologischen Ursprungs ist.
Spiritualität und Vegetarismus schließen sich also nicht aus, sind aber auch nicht zwingend zusammenhängend. Denn es gibt auch äußerst materialistische Gründe vegetarisch zu leben, dazu muss man nur mal ein Schlachthaus oder eine Soja-Plantage in Südamerika besuchen.
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10.06.2018Das ist ja mal wieder ein sehr spannender Beitrag! DANKE!
dandedilia, falls du mitliest, hier hast du eine scharfsinnige Definition von Religion, der ich mich nur anschließen kann.
Man muss eben unterscheiden: Veganismus ist selbstverständlich keine Religion, kann aber durchaus religiös begründet sein, wie jede Ethik. Ist es aber, wie jede Ethik, nicht zwangsläufig.
Ich selber bin Theologin und begründe meine Ethik, und damit auch mein veganes Leben religiös. Auch wenn das bei vielen VeganerInnen auf Unmut stößt und mir auch hier ja schon mal religiöser Pathos vorgeworfen wird. Ich kann damit leben.