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Nach Shitstorm um Sky du Mont: NDR sendet Faktencheck - mit Beigeschmack!

NRDInfo veröffentlicht eine Art Faktencheck zu Aussagen von Sky du Mont - und unterschlägt dabei wichtige Punkte.
NRDInfo veröffentlicht eine Art Faktencheck zu Aussagen von Sky du Mont - und unterschlägt dabei wichtige Punkte. Bild: Screenshot

Nach einem Agrar-Shitstorm zu Äußerungen des Schauspielers Sky du Mont hat der NDR jetzt eine "Richtigstellung" gesendet. Jedenfalls so etwas in der Art. Die jedoch hat einen fiesen Beigeschmack! Ein Kommentar.

Doch Schritt für Schritt!

Am 25. November war der Dokumentarfilmer und Schauspieler Hannes Jaenicke bei der Talkshow 3nach9 als Gast eingeladen. Er berichtete dort über seine letzten Recherchen - und über sein neues Buch: "Die große Sauerei: Wie Agrarlobby und Lebensmittelindustrie uns belügen und betrügen – und was das für unsere Ernährung bedeutet".

Den Beitrag könnt ihr in der ARD-Mediathek anschauen! (Bis 24.11.2024, 22:00 Uhr).

"In Deutschland wird faktisch jeden Tag das Gesetz - wissentlich, absichtlich - gebrochen", sagte Jaenicke mit Blick auf Undercover-Skandale in deutschen Tierhaltungen. Und zur Milchkühen: "Die Tiere sind eine Art stehende Milchtanks auf vier dünnen Beinen, meistens krank, ständig medikamentös behandelt", so Jaenicke. "Es ist absolut pervers!"

Es sind markige Worte, die eine gewisse Frustration erkennen lassen, angesichts einer Industrie-Landwirtschaft, an der sich Agrar-Politiker offenbar bis heute die Zähne ausbeißen (so Jaenicke).

Aber: Sie sind korrekt.

Hannes Jaenicke hat mit diesen Aussagen recht. Euterentzündungen und Beschwerden des Bewegungsapparats sind in der Milchindustrie Normalität, weil humpelnde Kühe neben humpelnden Kühen einfach nicht mehr auffallen. Weil die überzüchteten Euter Skelettprobleme verursachen (Foto-Vergleich).

"Eine normale Kuh wird zwischen 20 und 25 Jahren alt - eine Milchkuh vier bis sechs Jahre!". Auch das ist korrekt, denn das trifft auf die meisten Milchkühe zu. Auch die Aussage, dass Kühe ein Kalb zur Welt bringen müssen, um Milch zu geben, ist korrekt. Es stimmt.

Jaenicke sagte, er trinke Hafermilch, seit er von den Zuständen in der Milchindustrie wisse. Die dürfe allerdings nicht "Hafermilch" heißen, weil die Industrie dagegen geklagt hätte. Auch das: Korrekt. Über den Shitstorm, der gegenüber Jaenicke ausbrach, haben wir hier berichtet!

Irgendwann schaltete sich der Schauspieler Sky du Mont ein, der ebenfalls in der Talkshow-Runde saß, allerdings zu einem ganz anderen Thema. Er wies darauf hin, dass auch die Kuh leidet, wenn das Kalb weggenommen wird. "Was geschieht mit den männlichen Kälbern?" fragte er, und hat die Antwort gleich parat: "Die werden alle umgebracht!"

Sky du Mont hat bis dahin mit seiner Aussage recht. Und das, obwohl Tierhaltung gar nicht sein Themenschwerpunkt ist. Bis auf ein paar Ausnahmen werden männliche Kälbchen routinemäßig gemästet oder (je nach Marktpreis) sogar direkt auf dem Herkunftsbetrieb getötet. Illegal zwar, aber kaum kontrollierbar.

Und weil Kontrollen zu selten erfolgen und Strafverfahren wegen Tierquälerei oft gegen geringe Geldauflagen eingestellt werden. Zwischen 2009 und 2017 wurde ein Betrieb statistisch alle 17-48 Jahre kontrolliert, abhängig vom Bundesland [1].

Der Hintergrund: Liegen die Preise für "Schlachtkälber" zu niedrig, lohnt sich nicht einmal der Futter-Einsatz, um die Bullenkälbchen zur "Schlachtreife" zu mästen.

Allein die weitere Schilderung Sky du Monts scheint sich nur auf Einzelfälle zu beziehen.

Sky du Mont behauptete, männliche Kälber würden "in Container geschmissen", in mehreren Ebenen. Die unteren Kälbchen würden dabei sterben, indem sie ersticken. "Wenn man Milch trinkt, muss man das wissen", so der Mime. Mittlerweile hat Sky du Mont seine Aussage präzisiert.

Das gab einen Aufschrei in gut organisierten Agrar-Verbänden!

Denn diese, von Sky du Mont geschilderte Art, männliche Kälber zu töten, kommt allenfalls in Ausnahmefällen vor.

Allerdings hetzte Agrar-Medien nicht nur gegen diese eine Aussage von Sky du Mont, sondern pauschal gegen du Mont und Hannes Jeanicke (der sich zwar als Kritiker der Milchindustrie gezeigt hat, aber keineswegs gelogen hatte).

Tausende Landwirte schickten offenbar wütende Mails an die Redaktion von 3nach9. Und heraus kam eine Art "Richtigstellung" bei NDRinfo, die journalistisch eine Katastrophe ist. Weil einseitig, unausgewogen und anbiedernd.

Hier findet ihr den NDR-Beitrag mit dem Titel: "Kälber lebendig entsorgt: Was ist dran an der Behauptung?" (verfügbar bis 2.12.2024).

Hannes Jaenicke hatte sich intensiv und fundiert mit Zuständen in der Tierhaltung beschäftigt und ein mit zahlreichen Quellen belegtes Buch darüber geschrieben (es liegt unserer Redaktion vor).

Sky du Mont weist auf die Trennungsschmerzen zwischen Kuh und Kalb hin und darauf, dass Kälbchen für die Milchindustrie Mittel zu Zweck sind.

All das sind Themen, die dringend öffentlich diskutiert werden müssen! Auch in öffentlichen Talkshows!

Doch NDRInfo-Redakteur Holger Baars schießt sich auf den einzigen Punkt ein, der sachlich fragwürdig gewesen ist - und ignoriert die in der Talkshow diskutierten, haarsträubenden Missstände in so manchen deutschen Milchviehbetrieben.

Bis heute scheint es, als müssten ein paar Agrar-Verbände nur einen Shitstorm starten, damit der NDR ein paar Reporter losschickt, die treu dreinblickende und bestens vorbereitete Kälbermäster und Agrar-Funktionäre fragen, ob sie Tiere lieben... Und daraus dann eine Art Faktencheck basteln.

Ein öffentlich-rechtliches "Dutzi dutzi" für Milchviehhalter!

Kein weiteres Wort über die von ihren Müttern getrennten Kälbchen, deren Geburt einem konkreten Zweck dient: Die Hormone der Mutter in Schwung zu bringen, damit der Milchfluss beginnt. Siehe Faktencheck: Geben Kühe auch ohne Kalb Milch?

Ein routiniertes Vorgehen, das man als Journalist in frei verfügbarer Agrar-Fachliteratur problemlos nachlesen kann. Wenn man denn möchte

Die Folge: Kälbchen, die innerhalb weniger Tage von den Müttern getrennt werden. Oft schon nach einem Tag, um die Prägungsphase zu verkürzen und damit die Rufe der Tiere nacheinander. (Über dieses Thema wird in Agrar-Foren ganz real debattiert). [2]

Schon öfter habe ich über Agrar-Shitstorms berichtet. Auf Vegpool findet ihr mittlerweile eine ganze Sammlung dazu.

Für mich zeigen diese Shitstorms vor allem, dass es den Industrie-Tierhaltern keineswegs darum geht, eine sachliche, faktengerechte Debatte zu führen. Denn warum sagen sie sonst nicht einfach: "Ja, für Milch werden Tiere getötet. Wir brauchen die Geburten der Kälber, damit die Mutterkuh Milch gibt!"?

Industrie-Landwirte reißen die Deutungshoheit an sich, ohne die Fakten auf ihrer Seite zu haben.

Und jeder erfolgreiche Agrar-Shitstorm ist zugleich eine Drohung an die Medien. "Vermasselt es euch nicht mit uns!"

Und: Seit Jahren sind sie damit immer wieder erfolgreich!

Mit im Gepäck stets die Vorwürfe, sachliche Fakten wären "Hetze" gegen Landwirte - und Städter hätten eh keine Ahnung und würden alles nur "falsch verstehen".

Erst in dieser Woche hatten wir erst über einen Werbespot in Tirol berichtet, in dem eine traditionelle Figur einen Latte Macchiato mit Hafermilch bestellte. Damit wollte Tirol auf seine Toleranz und Gastfreundlichkeit hinweisen. Der Spot hatte sogar eine Auszeichnung bekommen!

Allerdings haben sich offenbar lokale Tierhalter vom Haferdrink im Spot dermaßen benachteiligt gefühlt, dass auch sie einen Shitstorm gestartet haben - und der (inhaltlich völlig harmlose) Werbespot in der Folge gestoppt wurde!

Wieder einmal hatte die Agrar-Industrie mit ihren Show-Shitstorms Erfolg. Und wieder einmal muss man sich als Verbraucher fragen, wie lange das noch weitergehen soll. Wie lange Kungelei und Agrar-Filz noch von den Tatsachen ablenken...

Übrigens: In geschlossenen Agrar-Foren rufen Landwirte derzeit dazu auf, das neue Buch von Jaenicke auf Amazon schlecht zu bewerten. Offensichtlich ohne es zuvor gelesen zu haben. So viel zum Thema Fakten...

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Shitstorm: Hannes Jaenicke bei 3nach9
Letzter Beitrag: 15.02.2023, von Vegbudsd.

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4,4/5 Sterne (98 Bew.)
AUTOR: KILIAN DREIßIG
Vegane Lebensweise vereint Klimaschutz, Tierschutz und Lebensqualität. Gründe genug, mich als Journalist damit zu beschäftigen.

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